RITUALISIERUNG DER ÖFFENTLICHKEIT



Sowohl die raumplanerischen wie architektonischen Ordnungen des Nationalsozialismus zielen auf einen präparierten Raum begrenzter Verhaltensmöglichkeiten, die durch organisatorische Arrangements (Aufmärsche, Parteitage) zusätzlich eingeengt und gerichtet wurden.

Durch die (geplante wie durchgeführte) architektonische Ordnung des öffentlichen Raumes wird die Zusammenführung des Privaten, das zugleich ein räumlich Zersplittertes ist, in die rituelle Bildung eines "neuen" Staatsvolkes verkehrt: vorgegebene Bewegungsrichtungen, Blickachsen, die zusätzlich durch symbolische Zeichen der Partei (= Regierung = Führer) markiert werden (Statuen, Reliefs, Fahnen, Standarten, aber auch Wachposten), gliedern nicht nur das öffentliche Leben, sondern stellen ein Koordinatensystem her, ein komplexes sinnliches Arrangement für das Individuum, das ihm ständig seinen Platz zuweist, es zu Identifikationen (oder Ablehnung) auffordert. Der öffentliche Raum wird nicht nur organisiert, er wird besetzt, erfüllt - Öffentlichkeit wird in Richtung einer permanenten Entscheidungssituation hin umgebaut: die Entscheidung, dazuzugehören oder nicht.

Gartenfront der Neuen Reichskanzlei (Modell: Speer, Pferdeplastik: Thorak)


Architektur wie Skulptur rekurrieren dabei auf ein Netz an historisch überlieferten Bedeutungen und Konnotationen (Historismus, Klassizismus), die sich gegenseitig verstärken und neue Bedeutungen, eine höhere Ordnung erzeugen sollten. Die mächtigen Portale, Säulenreihen und massiven Steinfassaden, die symmetrische Organisation der Grundrisse und Fassaden, die Betonung von Achsen und Ansichten durch Hoheitszeichen und Skulpturen - der architektonische wie öffentliche Raum entwickelt eine eigene Dramaturgie, inszeniert "Höhepunkte" (etwa die Rednertribüne des Reichsparteitagsgeländes), denen das Individuum nicht nur zustreben, sondern denen es sich unterwerfen sollte: es geht letztlich um die Initiierung eines freiwilligen Ordnungsverhaltens gegenüber dem in Szene gesetzten Ideal des neuen, einheitlichen, widerspruchsfreien Volkskörpers, dessen metaphorische Verbildlichungen in zahlreichen skulpturalen und malerischen Objekten den öffentlichen Raum durchsetzten.

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